Linear Attribution

Infografik zur linearen Attribution im digitalen Marketing mit vier Touchpoints: Facebook Ad, Newsletter, Google Ads und Direktbesuch, jeweils mit 25% Zuordnung, verbunden durch einen Pfeilfluss.
Moderne Illustration des linearen Attributionsmodells im Online-Marketing mit vier Touchpoints und gleichem Wertanteil. Credit: 404 Magazine (Tobias Hager)
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Linear Attribution: Der blinde Fleck im Performance-Marketing

Linear Attribution ist ein Tracking- und Attributionsmodell aus dem Performance-Marketing, bei dem jeder Kontaktpunkt (Touchpoint) im Marketing-Funnel gleichwertig zur Conversion beiträgt. Klingt fair? Ist in der Praxis aber oft ein fauler Kompromiss. Denn Linear Attribution verteilt die Lorbeeren für einen Abschluss (z. B. Kauf, Lead, Download) zu gleichen Teilen auf alle beteiligten Kanäle – unabhängig von ihrer tatsächlichen Effektivität. Warum das Modell trotzdem in vielen Marketing-Stacks eingesetzt wird, wie es technisch funktioniert, und warum es eigentlich niemand wirklich liebt, aber trotzdem alle nutzen – hier kommt die schonungslose Analyse.

Autor: Tobias Hager

Was ist Linear Attribution? Definition, Funktionsweise und Beispiel

Linear Attribution ist eines von mehreren Attributionsmodellen im digitalen Marketing. Attribution beschreibt dabei die Kunst (oder das Glücksspiel), herauszufinden, welcher Marketingkanal oder -kontakt welchen Anteil am Conversion-Erfolg hat. Während beim Last Click-Attributionsmodell der letzte Touchpoint alles abräumt und beim First Click der erste Kontakt gewinnt, verteilt Linear Attribution die Conversion-Wertung gleichmäßig auf alle Touchpoints.

Im Klartext: Hat ein Nutzer auf dem Weg zum Kauf viermal Kontakt mit deiner Marke (z. B. über eine Google-Anzeige, einen Newsletter, einen Social Media Post und einen Affiliate-Link), bekommt jeder Kanal 25 % des Conversion-Werts zugeschrieben. Das Modell ist simpel, mathematisch elegant und komplett ignorant gegenüber der tatsächlichen Wirkung einzelner Kanäle. Für viele Marketer klingt das nach Fairness – in Wahrheit ist es meist analytische Feigheit.

Ein Beispiel:

  • 1. Touchpoint: Facebook Ad
  • 2. Touchpoint: Newsletter
  • 3. Touchpoint: Google Ads
  • 4. Touchpoint: Direktzugriff auf die Website

Bei einer erfolgreichen Conversion (zum Beispiel Kauf) erhält jeder dieser vier Touchpoints exakt 25 % des Erfolgs. Es spielt keine Rolle, ob der Facebook Ad nur kurz wahrgenommen wurde oder die Google Ads tatsächlich den entscheidenden Impuls gesetzt haben. Das Modell kennt keine Hierarchie, keine Gewichtung, keine Intelligenz – nur Gleichverteilung.

Linear Attribution im Marketing-Tech-Stack: Vor- und Nachteile im harten Einsatz

Linear Attribution ist in nahezu allen gängigen Analytics-Tools (Google Analytics, Adobe Analytics, HubSpot, Salesforce Marketing Cloud und Co.) standardmäßig auswählbar. Es ist das perfekte Modell für alle, die sich nicht mit Datenanalyse herumschlagen oder keine klaren Aussagen treffen wollen. Aber reicht das wirklich für datengetriebenes Marketing?

Vorteile von Linear Attribution:

  • Einfachheit: Keine komplizierten Berechnungen, keine tiefgehende Datenanalyse. Set-and-forget.
  • Transparenz: Jeder sieht sofort, wie sich die Conversion auf die Kanäle verteilt.
  • Gerechtigkeitsgefühl: Kein Kanal fühlt sich benachteiligt. Jeder bekommt ein Stück vom Kuchen.
  • Vergleichbarkeit: Ideal, wenn alle Kanäle ähnlich „wichtig“ sind oder keine historische Datenbasis vorliegt.

Nachteile von Linear Attribution:

  • Realitätsferne: Die tatsächliche Wirkung einzelner Kanäle wird komplett ignoriert. Auch schwache, irrelevante oder zufällige Touchpoints erhalten ihren Anteil.
  • Optimierungsblindheit: Wer alles gleich gewichtet, weiß am Ende nicht, wo wirklich investiert werden sollte.
  • Messfehler: Gerade bei längeren Customer Journeys mit vielen Touchpoints werden unwichtige Kontakte überbewertet.
  • Kein Lerneffekt: Das Modell liefert keine Erkenntnisse für Budget-Allokation oder Kampagnenfeinsteuerung.

In der Praxis ist Linear Attribution oft ein Kompromiss zwischen technischer Machbarkeit und politischem Frieden im Unternehmen. Die Realität ist aber: Wer echtes Performance-Marketing betreiben will, braucht differenziertere Modelle. Linear Attribution ist der kleinste gemeinsame Nenner – mehr nicht.

Linear Attribution vs. alternative Attributionsmodelle: Was ist wirklich sinnvoll?

Die Auswahl des richtigen Attributionsmodells entscheidet darüber, wie Marketingbudgets verteilt, Kampagnen optimiert und Kanäle bewertet werden. Linear Attribution ist dabei nur einer von vielen Ansätzen. Hier ein Überblick über die wichtigsten Alternativen:

  • Last Click Attribution: Der letzte Kontakt vor der Conversion bekommt 100 % der Wertung. Vorteil: Einfach, aber oft unfair gegenüber Kanälen, die Awareness oder Consideration schaffen.
  • First Click Attribution: Der erste Touchpoint bekommt alles – ideal für Brand-Awareness-Messung, aber realitätsfern für Performance-Optimierung.
  • Time Decay Attribution: Je näher ein Touchpoint an der Conversion liegt, desto höher sein Anteil. Spiegelt oft besser die tatsächlichen Einflussfaktoren wider.
  • Position-Based Attribution (U-Shape): Meist erhalten der erste und letzte Touchpoint je 40 %, die restlichen 20 % werden auf die Mitte verteilt. Deutlich praxisnäher – aber immer noch ein Kompromiss.
  • Data-Driven Attribution: Moderne Tools (z. B. Google Analytics 4) analysieren per Machine Learning, welcher Touchpoint welchen tatsächlichen Einfluss auf die Conversion hatte. Das ist technisch aufwendig, aber am ehesten datenbasiert und realitätsnah.

Lineare Attribution ist also nur dann sinnvoll, wenn du entweder keine besseren Daten hast, alle Kanäle gleichwertig sind oder du einfach politisch keinen Streit riskieren willst. Wer echte Marketing-Performance messen und optimieren will, sollte zumindest Time Decay oder noch besser Data-Driven Attribution einsetzen. Alles andere ist Schönfärberei.

Technische Implementierung von Linear Attribution: Tracking, Daten und typische Stolperfallen

Linear Attribution ist technisch vergleichsweise leicht zu implementieren. Die meisten Analytics-Plattformen erlauben die Auswahl des Modells per Mausklick – der Rest läuft automatisiert. Aber wie funktioniert es konkret?

Das Tracking basiert meist auf sogenannten User Journeys, also der lückenlosen Erfassung aller Kontaktpunkte eines Nutzers bis zur Conversion. Jeder Touchpoint wird mit einer eindeutigen Session-ID, User-ID oder Cookie verknüpft. Wichtig: Ohne saubere Cross-Device-Tracking-Struktur (Stichwort: Device Graph, User Matching) und Consent Management ist das Modell wertlos. Die Datenbasis ist entscheidend – Garbage in, garbage out.

Typische Stolperfallen:

  • Cookie-Verluste: Nutzer wechseln das Gerät oder löschen Cookies – Touchpoints gehen verloren, Attributionskette wird unterbrochen.
  • Session Timeouts: Zu kurze Session-Zeiten oder inkonsistente Tracking-Parameter verfälschen die Journey.
  • Fehlende Kanaldefinitionen: Nicht jeder Traffic-Quellcode (UTM, Referrer, Campaign Tagging) ist sauber definiert – das führt zu „unassigned“ oder „other“ Kanälen.
  • Regulatorische Probleme: DSGVO, Consent-Management und Ad-Blocker machen das Tracking zunehmend unzuverlässig.

Wer Linear Attribution nutzt, muss sich also nicht nur auf die eigene Faulheit verlassen, sondern auf eine technisch solide Tracking-Infrastruktur. Sonst ist das Ergebnis noch wertloser als das Modell selbst.

Fazit: Linear Attribution – fair, bequem und meistens sinnlos

Linear Attribution ist das Attributionsmodell für alle, die keine Lust auf echte Analyse, keine belastbaren Daten oder einfach zu wenig Mut für echte Entscheidungen haben. Es ist bequem, politisch korrekt und analytisch meistens Unsinn. In einer Welt, in der Customer Journeys immer komplexer werden und Marketingkanäle immer besser verzahnt zusammenspielen, ist die Gleichverteilung der Conversion-Wertung nichts weiter als ein Placebo für Analytics-Laien.

Wer Performance-Marketing ernst nimmt, sollte Linear Attribution nur als Übergangsmodell betrachten – und so schnell wie möglich auf datengetriebene, differenzierte Modelle umsteigen. Denn am Ende zählt nicht, ob jeder Kanal gleich behandelt wird, sondern ob das Marketing-Budget wirklich Hebel findet – und nicht einfach nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird. Die Zukunft heißt Data-Driven Attribution – Linear Attribution ist die Vergangenheit. Wer das nicht kapiert, bleibt digital auf der Strecke.